Selbstführung im Zeitalter der Digitalisierung (Teil I)

Selbstführung im Zeitalter der Digitalisierung (Teil I)

Selbstführung im Zeitalter der Digitalisierung (Teil I) 1024 411 Dr. Friedhelm Boschert

Seit Peter F. Drucker vor fast 20 Jahren sein „Managing Oneself“ postulierte, hat sich die Unternehmenswelt nochmals dramatisch verändert. Hohe Geschwindigkeit, eine immer größere Arbeitsdichte und zunehmende Komplexität bestimmen heute den Arbeitsalltag von Führungskräften auf allen Ebenen.

Selbstführung kann daher heute nicht mehr nur als moralischer Imperativ gesehen werden. Es geht vielmehr um die Kultivierung von Fähigkeiten, die einen produktiven Umgang mit den Bedingungen der beschleunigten VUCA -Welt ermöglichen. Werfen wir einen kurzen Blick auf diese besonderen Umstände.

  • Komplexe Prozesse erfordern eigentlich den „Blick für das Ganze“. ABER: viele Manager flüchten angesichts der Komplexität ins Mikromanagement, basteln an Details und haben längst den Überblick verloren.
  • Vernetzte Wissensökonomie erfordert kooperatives Zusammenwirken in agilen Teams. ABER: Im Stress bleibt weder Zeit für Gespräche, noch für den Aufbau emotionaler und wertschätzender Beziehungen. Führen via Mail und SMS aber schafft keine kooperativen Teams.
  • Geschwindigkeit und Arbeitsverdichtung erfordern klares und strukturiertes Arbeiten. ABER: Fragmentierte Arbeitsabläufe reichen bis in das Top-Management hinein. Durchschnittlich 12 parallele Aufgabenbereiche, dazu 80-150 Mails pro Tag verleiten zu einem permanenten Multitasking, was zu einer steigenden Ineffizienz führt.
  • Unvorhersehbare Entwicklungen und mehrdeutige Situationen erfordern reflektiertes Denken und Handeln. ABER: randvolle Terminkalender und nicht zu bewältigende To-Do-Listen lassen keine Zeit zum Nachdenken. Und das noch wichtigere Reflektieren („was mache ich da eigentlich?“) bleibt heute leider ganz auf der Strecke. Ein „Durchwursteln per Autopilot“ ist für die meisten Manager und Führungskräfte Realität.

Die Art und Weise, wie die Führungselite auf die sich verändernde Umwelt reagiert ist weder ermutigend, noch wegweisend. „Der Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“, postulierte Albert Einstein. Richtig! Die Perspektive wechseln und nicht immer das Gleiche tun! Die Komplexität zu verringern, den Work-Load oder die Geschwindigkeit zu bremsen, oder gar das Zeit-Budget zu erweitern, ist nutzlos. Stattdessen empfehle ich, bei sich selbst zu beginnen. Sich selbst zu führen.

Die Kunst des bescheidenen, demutsvollen Fragens, Erkundens & Zuhörens gilt als #Geheimnis #erfolgreicher #Führung.

Was bedeutet Selbstführung im Zeitalter der Digitalisierung?

Im Grunde genommen geht es um die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit zielgerichtet zu steuern. Und damit die Grundlage zu legen für Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung und Selbstreflexion. Aufmerksamkeit ist nichts anderes, als die mentale Fähigkeit, die Wahrnehmung und das Denken zielgerichtet zu lenken. Und damit in der Lage zu sein, jederzeit auf eine ganz persönliche „Meta-Ebene“ zu gehen. Dabei sich selbst, seine Gedanken und Emotionen gewissermaßen von „oben“, aus der Perspektive eines Dritten beleuchten zu können. Und so nicht länger der Getriebene seiner Grübeleien, seiner Emotionen, seiner Unruhe, seiner Ablenkungen zu sein.

Wie steuern Sie Ihre Aufmerksamkeit?

Machen wir uns das am Beispiel einer der Kernkompetenzen jedes Topmanagers deutlich: dem „Zuhören-Können“. Die Kunst des bescheidenen, des demutsvollen Fragens, Erkundens und Zuhörens gilt als das eigentliche Geheimnis erfolgreicher Führung.

Dazu brauchen Sie die Fähigkeit, sich selbst, Ihr Gegenüber und das Umfeld gleichzeitig und ungeteilt wahrnehmen zu können. Ihre Aufmerksamkeit beim Zuhören so zu fokussieren, dass Sie ihre eigenen Gedanken und Reaktionen erkennen, noch bevor Sie beginnen zu reden. Den oder die anderen empathisch verstehen, aus deren Sicht das Gehörte zu beleuchten. Oder in Sitzungen die Stimmung und das Klima in der Gruppe mit einem Blick erfassen. Und dann erst entscheiden, zu sprechen – oder zu schweigen.

Führungskräfte, die ihr Selbstwahrnehmung und -steuerung trainieren, sind sich ständig ihrer Gedanken und Gefühle bewusst und kommen so stärker mit der eigenen Intuition in Berührung. Dies hilft Ihnen, Situationen und Menschen besser, nämlich reflektierter, einschätzen zu können. Auf diese Weise werden auch noch bessere Entscheidungen gefällt.

Welche Auswirkungen hat die Aufmerksamkeitssteuerung auf die Team-Arbeit?

Einfache Antwort in amerikanischer Kürze: „Energy follows attention“. Nicht nur der Einzelne leitet seine Energie in die Bahnen, die ihm seine Aufmerksamkeit zeigt. Auch das Team orientiert sich daran, wo der Chef die Aufmerksamkeit platziert. Eben konsequent denkt und handelt. Neben dem Zuhören-Können, dem Vertrauen schaffen ein weiteres wesentliches Steuerungsmittel für agile Teams.

Wie behalten Sie in komplexen Welten den Überblick?

Auch hier geht es um die Fähigkeit, gezielt auf die Meta-Ebene zu steigen. Die Sache immer wieder aus einer anderen Flughöhe zu betrachten, um das Wesentliche zu erkennen. Diese Fähigkeit zur Mustererkennung wird in komplexen Welten immer wichtiger. Wie Harald Katzenmair, Sozialwissenschaftler und Entrepreneur, das sehr prägnant formuliert: „Wir brauchen nicht nur Big Data, wir brauchen vor allem Rough Data“. Ob Personalentwicklungen, Veränderungen im Kundenverhalten, Entwicklungen am Markt – aus einer gewissen Distanz heraus lassen sich stets Muster erkennen. Dafür braucht man beispielsweise eine „weite Aufmerksamkeit“.

Das „Bisschen” Aufmerksamkeitslenkung soll nun Führungs- und Management-Verhalten so entscheidend verändern können? Eindeutiges Ja, denn dieses „Bisschen“ ist die alles entscheidende Grundlage Ihrer Selbstführungsfähigkeit. Sie erinnern sich: “nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen”. Gerade in digitalen Welten.

[Bildnachweis: © shutterstock.com / alphaspirit]

Dr. Friedhelm Boschert

Dr. Boschert ist zertifizierter Lehrer in Achtsamkeit und Gründer von “MINDFUL SOLUTIONS”. Er berät, coacht und trainiert Führungskräfte. 2011 veröffentlichte er sein Buch „Sich selbst führen. Und dann die anderen“.

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